zurück | Tsundoku-Lesetagebuch |
Dieses Lesetagebuch habe ich am 29. September 2024 begonnen mit dem gleichen Ziel, für das ich auch das Basteltagebuch eingerichtet habe. Zu meiner eigenen Ermunterung!
Ich trage hier alle Bücher ein, sobald ich sie ausgelesen habe. Aber es hat sich alsbald herausgestellt, dass Bücher an andere Bücher erinnern, also tauchen die hier auch auf.
Die Karikatur rechts hat was mit dem Zweck dieser Seite zu tun: Mich zu nötigen, den Berg ungelesener Bücher anzugehen, bevor mich die Stapel erschlagen! Und vor allem die Bücher endlich zu Ende zu lesen, die ich irgendwann einmal angefangen habe - davon gibt es viele!
Die Karikatur links ist einfach nur witzig. Entlarvend witzig.
Nachtrag April 2025: "Tsundoku" heißt das, wenn sich die Bücher ungelesen stapeln! Welch passender Titel für diese Seite!
Datum | Autor | Titel | Inhalt | |
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1 | 2024-09-28 | Claire North (eigentlich Catherine Webb) | The last Song of Penelope | Es gibt schon ein Buch, dass die Heimkehr des Odysseus aus der Sicht der Penelope schildert: "The Penelopiad" von Margaret Atwood. Claire North ist konsequenter, die Ehe des Odysseus ist nach 20 Jahren Trennung und nach dem Blutbad, das er nicht nur unter den Freiern, sondern auch unter den Mägden seiner Frau anrichtet, am Ende. Penelope hasst diesen Mann, sieht aber auch, dass Ithaka ihn braucht und damit auch sie als Königin von Ithaka. Er seinerseits klug genug, die Situation zu verstehen, und drängt sich ihr nicht auf. Für mich war das der spannendste Teil der Lektüre. Erzählt wird die Geschichte von Athene, die den Mythos des Odysseus für ihre eigene Verewigung retten will, in diesem Sinne eingreift und sein Überleben sichert. Ich habe die Odyssee schon in der Schule gelesen (humanistisches Gymnasium), und man nimmt es unreflektiert hin, dass Odysseus nach 20 Jahren nach Hause kommt wie unsereiner nach einer zweiwöchigen Geschäftsreise und sich zu seiner Frau ins Bett legt. Insoweit ist das Buch sehr lehrreich. Es ist übrigens der letzte Band einer Trilogie. Den habe ich in einer Buchhandlung in Auckland gegriffen; ich habe es gern gelesen, aber Appetit auf die ersten beiden Bände habe ich nicht bekommen. |
2 | 2024-10-01 | Florian Illies | Zauber der Stille | Das Buch habe ich zum Geburtstag geschenkt bekommen, Caspar David Friedrichs 250ster am 4.9.2024 muss natürlich literarisch ausgeschlachtet werden. Eine bunte Mischung von Ausschnitten aus seiner Vita, Beschreibungen seiner Werke und Urteilen über die Zeiten hinweg. Von Illies gibt es ja auch "1913", das ist ebenso konstruiert. Liest sich leicht, locker und schnell. Erschreckend für mich die Äußerungen der 68er, die auch Friedrich auf das Prokrustesbett des Klassenkampfes gelegt haben - weil ich da ja Zeitzeuge bin. Man vergisst, wie quälend dumm das war. |
3 | 2024-07 | Ludwig Ganghofer | Das Schweigen des Waldes | Ein langgehegter Vorsatz, mal was von Ganghofer zu lesen, Lieblingsautor unseres letzten Kaisers. Schließt insofern an die Nr. 2 an, weil es sich auch um einen Maler dreht, um den verkannten verstorbenen Vater der bezaubernden Lu, der dann wiederentdeckt mit Böcklin verglichen wird. Das Ganze eine furchtbare Schmonzette, aber dennoch irgendwie spannend. Der Fürst - also Hochadel - und die Malerstocher Lu kriegen sich schließlich, Happy End? Gönnt man ihnen, aber 1899, als das Buch erschien, wäre eine solche Verbindung eine Mesalliance gewesen, die beide samt ihren Kindern vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen hätte. |
4 | 2024-10-24 | Christopher Marlowe | Tragicall History of Doctor Faustus | Mal eben zwischendurch gelesen, nachdem ich mit meinen Kindern über Goethes Faust gesprochen und Ihnen den Anfang des Gustav-Gründgens-Filmes gezeigt hatte. Mit Goethes Faust nicht zu vergleichen. Dieser Faust will kaum Wissen, eine kurze Instruktion über die Himmelssphären und und eine Vorführung der sieben Todsünden, das war's. Dieser Faust will Macht, und die nutzt er, um Fürsten mit Phantasmagorien zu unterhalten. Den anderen spielt er übelst mit. Anrührend die Szenen, wo der gute und der böse Engel auf ihn einreden. Wikipedia meint, dass Marlowe der erste war, der mit seiner Faustfigur sympathisiert habe - hat sich mir nicht erschlossen. |
5 | 2024-10-24 | William Gibson | The Peripheral | In meinen Dreißigern und Vierzigern habe ich praktisch die ganze klassische Science Fiction aufgesogen. William Gibson ist mir damals entgangen, vielleicht gab es ihn auch noch nicht. Erst vor wenigen Jahren bin ich auf die Neuromancer-Trilogie gestoßen, die gehört zum besten, was das Genre zu bieten hat. "The Peripheral" steht dem nicht nach. Ein Peripheral ist ein Android, in den man sich zeitweise hineinlädt, um anderswo anwesend zu sein - schlicht beschrieben. |
7 | 2024-11-15 | Sybille Berg | GRM | "RCE" habe ich zuerst in die Finger gekriegt und dann erst gemerkt, dass es dazu einen ersten Band gibt. Eine brutale Dystopie, die ihre Gewalt daraus bezieht, dass sie aus dem Hier und Jetzt herauswächst. Es ist noch nicht so, aber alles doch schon da. Das macht es so furchtbar. Das und die Lakonie, mit der es erzählt wird. Und die Sprache, die aus unserem täglichen Gebrauch kommt und mit der wir die allgegenwärtigen Greuel aus unserem Bewusstsein schieben. Es gibt utopische Elemente, etwa wenn die hochbegabte Karen in irgendwelchen Tümpeln einen Virus heranzieht, der Männer dauerhaft impotent macht, und den über die Trinkwasserversorgung in London verbreitet, Als Science Fiction ist das grausam schlecht, nehmen wir's also ironisch. |
6 | 2025-01-15 | Aphra Behn | Oroonoko | Auf Aphra Behn (1640 - 1689) bin ich durch einen Artikel des Tages bei Wikipedia aufmerksam geworden: "In der englischen Literatur nimmt sie eine einmalige Stellung ein, denn sie war die erste öffentlich auftretende Berufsschriftstellerin Englands und spielte eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung des neuzeitlichen Romans." Das hat mein Interesse geweckt. Sie war jedenfalls eine sehr selbstbewusste und selbstbestimmt lebende Frau. Der Königssohn Oroonoko ist ein klassischer "edler Wilder", im Kontrast zu den zivilisationsverdorbenen und unchristlichen weißen Christen. Zunächst geht es aber zu wie in der Oper (wir haben vor wenigen Tagen Händels "Serse" im Oldenburger Staatstheater gesehen) - der greise königliche Großvater führt Oroonokos geliebte Imoinda seinem eigenen Harem zu, zur unendlichen Trauer der Liebenden. Die beiden finden sich dann als Sklaven in Surinam wieder. Mehr sei nicht verraten. Die Erzählung ist eine flammende Anklage der Sklaverei. |
7 | 2025-01-15 | Aphra Behn | The Fair Jilt | Wenn ich schon dabei bin, Aphra Behn zu lesen... Ganz zu Anfang die Beschreibung eines Gecken ist für sich schon lesenswert. Das Wort "jilt" ist eine ausgestorbene Bezeichnung für eine Frau, die ihre Verehrer zum Narren hält. Und um so eine geht es hier, eine, die sogar über Leichen geht. Und um des Erbes willen ihre eigene Schwester ermorden lässt - was zweimal nicht gelingt. Wozu sie auch ihren eigenen Ehemann anstiftet, der für den Versuch zum Tode verurteilt wird. Aber er entgeht dem Tod, weil der Scharfrichter daneben haut und statt des Halses die Schulter trifft. Das ist in Antwerpen, als Ephra Behn dort lebte, tatsächlich passiert. |
9 | 2025-02-10 | Heinrich von Kleist | Die Marquise von O... | Das haben meine Kinder gerade in der Schule gelesen, uns so habe ich mich auch noch einmal daran gemacht. Ich weiß nicht, ob ich es damals gelesen habe. Anfang der Siebziger erschien aber eine Verfilmung in den Kinos, und einige Studentinnen protestierten gegen den Film, indem sie ihr Wasser in die Kinositze ließen. Den Film habe ich gesehen, und ich glaube nicht, dass ich diese Empörung damals verstanden habe. Heute ist man da sensibilisierter: Eine Vergewaltigung bleibt eine Vergewaltigung, auch wenn sie bereut, Wiedergutmachung angestrebt und sie letzlich verziehen wird. |
10 | 2025-03-04 | Anna Seghers | Das siebte Kreuz | An diesem Buch habe ich lange, sehr lange gekaut. Weil ich es manchmal nur absatzweise ertragen konnte. Man weiß viel über die Shoa, aber viel zu wenig über das alltägliche Leben im Dritten Reich, über die Angst, die Denunziationen, die Hoffnung auf ein besseres Leben ohne Arbeitslosigkeit und mit KdF-Urlaub, die Selbstherrlichkeit und zügellose Gewalttätigkeit der Nachbarn von gestern, Brutalität als Staatsraison. Pflichtlektüre!!! |
11 | 2024 | Ernst Fraenkel | Der Doppelstaat | Ergänzt "Das siebte Kreuz" von einer anderen, der juristischen Seite. Bestürzend die Geschwindigkeit, mit der sich die Rechtsprechung auf die neuen völkischen Verhältnisse einstellte. |
12 | 2025-03-05 | Thomas Mann | Doktor Faustus | Schloss an die Nr. 4 (Marlowe, siehe oben) an. Wurde aber auch mal Zeit, wieder Thomas Mann zu lesen! Schade, dass es all die Musik, die so eindringlich beschrieben wird, gar nicht gibt. |
13 | 2025-03-12 | Thomas Mann | Wälsungenblut | Die Idee, diese Erzählung zu lesen, entstand nicht durch die Lektüre des "Doktor Faustus", sondern parallel dazu durch den Wikipedia-Artikel über Inzest. den ich aus irgendeinem Grund aufgerufen hatte. |
14 | 2025-03-27 | Andy Weir | Project Hail Mary | Habe ich von meinem Töchterchen zum Geburtstag geschenkt bekommen, ein hervorragendes Stück Science Fiction. Im Kern mehr Biology Fiction, denn es tauchen andere Lebensformen auf, angepasst an völlig andere Umgebungen, aber alle mit Mitochondrien ausgestattet - Panspermie! Ansonsten muss die Welt gerettet werden. Mehr sei nicht verraten. |
15 | 2025-04-07 | Zoë Beck | Paradise City | Zwischendurch gelesen, ich wurde durch einen Zeitungsartikel darauf aufmerksam. Und habe dann festgestellt, dass das Buch schon 2020 den Deutschen Krimipreis bekommen hat. Muss ein Hype gewesen sein, 2021 schon die fünfte Auflage - aber von der zehrt der Buchhandel noch heute. Was mich interessiert hat, ist die utopisch-dystopische Gesellschaft, die im Buch beschrieben wird. Wie bei "GRM" und "RCE", alles jetzt schon da, nur nicht so schlimm. Aber hier auch nicht so krass, weil die Figuren nicht die Abgehängten der Gesellschaft sind, sondern Mittelschicht, gestandene kritische Journalisten, damit allerdings die letzten Mohikaner. Frankfurt als Teil eines Rhein-Main-Megakonglomerats ist die deutsche Haupstadt, das Ruhrgebiet chinesisch und der Rest entvölkert. Um das perfektionierte Gesundheitswesen herum entwickelt sich eine spannende Geschichte. |
16 | So etwa 1965 | Aldous Huxley | Brave New World | "Paradise City" erinnerte mich daran. Den dort gibt es die "Parallelen", Menschen, die sich dem System verweigern und irgendwo in der Pampa hausen. So auch bei Huxley; nachdem er die schöne neue Welt ausführlich beschrieben hat, tauchen in der Mitte des Buches plötzlich die Rebellen auf. Was ein deutlicher Bruch in der Erzählung ist. Das weitere Schicksal der Aussteiger ist allerdings ein anderes. |
17 | 2025-04-15 | Cho Nam Joo | Miss Kim weiß Bescheid | I8ch war öfter in Korea, als ich zählen kann, und ich liebe Korea und die Koreaner. Und lese daher auch koreanische Literatur - wenn man ihrer hier denn habhaft wird. Acht Frauen verschiedenen Alters und in verschiedenen Lebenssituation erzählen ihre Geschichte, eine davon ist biografisch, und eine, die letzte, wird erzählt. Die patriarchalische koreanische Gesellschaft wird gnadenlos vorgeführt. Wir sind da wohl ein paar Jahrzehnte weiter, aber keineswegs frei davon. Und die Erzählung "Lieber Hyunnam" trifft mich ganz persönlich, so krass wir Hyunnam war ich nicht, aber ich hatte damals schon Einiges davon... Zauberhaft die Geschickte, in der eine sechzigjährige Großmutter mit ihrer 20 Jahre älteren Schwiegermutter nach Kanada reist, um Polarlichter zu sehen. |
1 | 2024-04-24 | Peter Turchin | END TIMES | Spannende These: Gesellschaften rutschen in vorhersehbaren Abständen - so um die 100 Jahre - in eine Krise, die durch die Verarmung des Massen und eine Überproduktion von Eliten verursacht wird, wobei das zweite durchaus zum ersten beiträgt. Belegt mit zahlreichen Beispielen und natürlich auch bezogen auf die aktuelle Situation in den USA (das Buch ist 2021 erschienen). |